Erzbistum Freiburg
Dokumente aus 1000 Jahren -
Das Erzbischöfliche Archiv Freiburg ist seit 20 Jahren im eigenen Dienstgebäude
Blick auf das Erzbischöfliche Archiv Freiburg aus
dem CB-Garten heraus
Das Erzbischöfliche Archiv Freiburg verwahrt nicht nur Dokumente aus 1000 Jahren, sondern ist nun selbst schon ein wenig Geschichte: Der Neubau an der Ecke Schoferstraße / Schlossbergring wurde vor 20 Jahren bezogen.
Am 30. Januar 2002 wartete die „Badische Zeitung“ mit einer sensationellen Schlagzeile auf: „Das älteste Dokument ist fast 3000 Jahre alt“ stand über einem Artikel zu lesen, in dem berichtet wurde, dass das Erzbischöfliche Archiv Freiburg (EAF) knapp eine Woche zuvor sein neues Domizil bezogen hatte. 3000 Jahre, das hätte bedeutet, dass die zu jenem Zeitpunkt noch nicht einmal ganz 175 Jahre alte Erzdiözese in ihrem Archiv Unterlagen verwahrte, die bei der Gründung der Stadt Freiburg schon mehr als zwei Jahrtausende alt gewesen wären und aus der späten Bronzezeit gestammt hätten.
Nun, ganz so alt sind die im EAF verwahrten Unterlagen nicht, sondern die ältesten Stücke bringen es „nur“ auf rund 1000 Jahre – offenbar hatte jemand den kleinen Unterschied zwischen „vor“ und „nach“ Christus nicht erkannt. Aber auch wenn man richtig rechnet, sind viele der Archivalien deutlich älter als die Institution, der sie gehören, und erst recht sind sie viel älter als das Gebäude, in dem sie verwahrt werden und das neben dem Ordinariat, dem Collegium Borromaeum (CB) oder der Münsterbauhütte auch nach 20 Jahren noch immer wie ein Neubau wirkt.
Das auf den ersten Blick etwas abweisende Äußere des außer im Erdgeschoss und im ersten Obergeschoss fensterlosen Gebäudes ist seiner Funktion geschuldet, denn für den dauerhaften Erhalt der in den Magazinen verwahrten Dokumente wären Tageslicht und rasche Klimaschwankungen sehr nachteilig. Doch der Eindruck täuscht, denn im EAF sind Besucher nicht nur geduldet, sondern willkommen und erwünscht: Das Archivgut wird nicht um seiner selbst willen erhalten, sondern um von Forschung, Verwaltung und interessierter Öffentlichkeit genutzt und ausgewertet zu werden, denn nur dadurch kann das EAF seine Funktion als zentrales Gedächtnis des Erzbistums erfüllen. Wobei dieses Gedächtnis nicht nur bis zur faktischen Gründung im Jahr 1827 zurückreicht, sondern weit darüber hinaus: Für das ehemalige Bistum Konstanz, das den größten Teil zum heutigen Bistumsgebiet beigesteuert hat, bis ins hohe Mittelalter, für die Bistümer Straßburg, Speyer, Worms, Mainz und Würzburg, zu denen Mittel- und Nordbaden gehörten, immerhin bis ins 17./18. Jahrhundert. Und einzelne Handschriftenfragmente stammen sogar aus der Zeit um die erste christliche Jahrtausendwende.
Natürlich ist dieses papier- und pergamentgewordene Gedächtnis keineswegs lückenlos, aber grundsätzlich ist im EAF alles dokumentiert, was „die Kirche“ im heutigen Erzbistum Freiburg während der letzten Jahrhunderte aktiv oder passiv, im Guten wie im Bösen, getan oder ertragen hat. In einem Großteil der Unterlagen zeigt sich diese Dokumentation aus der Perspektive der Bistumsleitung und der zentralen Verwaltung, oft aber auch, in Pfarrarchiven, Nachlässen oder Akten nachgeordneter Institutionen, aus der Sicht „von unten“ oder „von außen“. Ein paar willkürlich herausgegriffene Beispiele mögen dies verdeutlichen:
Im Tagebuch einer Firmreise von Erzbischof Ignaz Demeter im Jahr 1840 kann man nachlesen, wie oft er sich in diesen drei Wochen vom Barbier rasieren ließ – jeden zweiten oder dritten Tag –, während man sich mittels anderer Unterlagen über die Arbeit der „Binnenschifferseelsorge“ in Mannheim informieren kann. Mit Hilfe der im Original oder als Mikrofilme vorhandenen Kirchenbücher lassen sich Familienstammbäume bis in die Zeit des Dreißigjährigen Krieges oder noch weiter zurück erstellen, in den jeweiligen Nachlässen hingegen lässt sich nachvollziehen, mit welch harten Bandagen in den 1930er-Jahren die Auseinandersetzung zwischen Erzbischof Conrad Gröber und dem ehemaligen Generalvikar Joseph Sester geführt wurde. Dokumentiert ist, mit welchem Druck der designierte erste Erzbischof Bernhard Boll im Oktober 1827 zum Treueid auf den Landesherren gezwungen wurde oder welche Musik – das Mozart-Requiem – aus welchen Gründen – man brachte auf die Schnelle kein funktionierendes Orchester zustande – bei seiner Beerdigung im Jahr 1836 dann doch nicht erklang. Die Entstehungsgeschichten unzähliger Kirchenbauten lassen sich bis in teils entlegenste Details erforschen, während zu anderen Baumaßnahmen bisweilen auch zentrale Dokumente fehlen. Kurz: Nachforschungen im EAF können höchst informativ und beglückend, aber auch mühsam, frustrierend und erfolglos sein.
Tausende von Menschen haben in den letzten 20 Jahren das EAF besucht und teils wenige Stunden, teils viele Tage am Stück die Archivalien studiert und ausgewertet. Manche kommen mit einem sehr überschaubaren Anliegen nur ein einziges Mal, andere, insbesondere manche Ahnen- und Familienforscher, über Jahre oder gar Jahrzehnte hinweg immer wieder. Und dann gab es, insbesondere in den ersten Jahren ab 2002, Menschen, die das EAF nicht wegen der darin verwahrten historischen Schätze besuchten, sondern wegen der preisgekrönten Architektur des vom Erzbischöflichen Bauamt Freiburg unter Federführung von Dr. Christof Hendrich geplanten Gebäudes. Für manche andere in den letzten 20 Jahren gebauten Archive diente das EAF mit seinem nachhaltigen, auf aufwendige technische Maßnahmen weitgehend verzichtenden Magazin-Klimatisierungskonzept als Vorbild, und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bietet es nach wie vor ein angenehmes Arbeitsumfeld, auch wenn die vor zwei Jahrzehnten vermeintlich großzügig bemessene Anzahl von Büros schon seit geraumer Zeit nicht mehr ausreicht und einiges an Flexibilität und Kompromissbereitschaft erfordert.
Errichtet wurde das Archivgebäude an der Ecke Schoferstraße/Schlossbergring in unmittelbarer Nähe zum Ordinariat – wo das EAF bis dahin untergebracht war – und wie dieses mit einer Sandsteinfassade. Dafür musste das CB ein Stück seines Parks sowie seinen bisherigen Komposthaufen abtreten, erhielt aber als Gegenleistung einen Sicht- und Lärmschutz gegen den vielbefahrenen Schlossbergring sowie einen neu und schöner als zuvor angelegten Garten. Doch nicht nur das CB musste für den Bau Zugeständnisse machen, auch dem EAF und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern konnten nicht alle Wünsche erfüllt werden. So gibt es weder vom Archiv aus einen direkten Zugang zum CB-Park, noch wurde auf dem Flachdach eine Terrasse mit Sitzgelegenheiten, Swimmingpool und Blick über die Dächer von Freiburg eingerichtet. Auch im Innern fehlt manches, beispielsweise ein „Quarantäneraum“ zur Zwischenlagerung verschmutzter Archivalien, eine Restaurierungswerkstatt oder ein Fotolabor. Aber das ist Jammern auf hohem Niveau – im Großen und Ganzen ist der Bau
architektonisch attraktiv, funktional und bietet Mitarbeitenden wie „Kunden“ angemessene und komfortable Arbeitsmöglichkeiten.
Von den Mitarbeitenden – aber noch nicht sogleich von den Archivalien – bezogen wurde das Gebäude am 24. Januar 2002, eingeweiht am 27. Mai 2002 von Erzbischof Oskar Saier – und vielleicht lässt es die Pandemiesituation Ende Mai 2022 sogar zu, den 20. „Geburtstag“ des Erzbischöflichen Archivs ein wenig zu feiern?
Text: Christoph Schmider / Foto: Erzbistum Freiburg